Nach­haltigkeit im All­tag: War­um es kein "one size fits all" gibt

 |  Paderborn Research Center for Sustainable Economy (PARSEC)Pressemitteilungen

Prof. Dr. Martin Kesternich untersucht als Umwelt- und Verhaltensökonom mit Hilfe von Feldexperimenten die Beziehungen zwischen Wirtschaft und der natürlichen Umwelt des Menschen. Da Klimaschutz aus ökonomischer Sicht ein Gemeinschaftsgut ist, liegt sein Schwerpunkt auf der Betrachtung des kooperativen Verhaltens für Nachhaltigkeit. Der Forscher berichtet, warum für einen effizienten Schutz der Umwelt und des Klimas nicht alle das Gleiche tun müssen. Außerdem erklärt er, woran es aktuellen gesellschaftlichen Debatten über Nachhaltigkeit mangelt.

Fahrrad statt Auto, Baumwolltasche statt Plastiktüte, Second Hand statt neu gekauft – die Liste der Verhaltensweisen, die jede*r täglich für die Umwelt und für ein nachhaltigeres Leben tun kann, ist lang. Die Tipps reichen von nachhaltiger Mode bis zur Verringerung des ökologischen Fußabdrucks. Für viele impliziert das eine „Ganz oder gar nicht“ - Einstellung – das weiß auch Martin Kesternich und appelliert: Keine „one size fits all“ - Lösung!

Freifahreranreize als entscheidende Herausforderung im Umwelt- und Klimaschutz

Bei Wind und Wetter fährt der Umweltökonom mit dem Fahrrad zur Arbeit. Doch nicht von jeder Person dürfe das Gleiche verlangt werden, denn jede*r müsse für sich selbst entscheiden, was in den eigenen Alltag integrierbar ist: „Deshalb bin ich auch niemand, der pauschal sagen würde, es muss jede*r mit dem Fahrrad fahren, weil es einfach viele Situationen gibt, in denen es aus sehr nachvollziehbaren Gründen schwierig ist. Das ist der ökonomische Ansatz: Es geht nicht darum, von allen das Gleiche zu verlangen, sondern es geht darum, die Strukturen und Anreize so zu setzen, dass jede Person im Rahmen ihrer Möglichkeiten das größtmögliche Maß an Nachhaltigkeit versucht miteinzubringen. Dies gilt insbesondere in Situationen, in denen es individuell am leichtesten fällt oder in denen ressourcensparendes Verhalten kostengünstig zu realisieren ist. Und das kann eben sehr unterschiedlich sein. Gut designte Märkte und Institutionen spielen daher eine zentrale Rolle bei Fragen der Nachhaltigkeit.“ Im Wesentlichen betrachtet Martin Kesternich den Klimaschutz als ein Gemeinschaftsgut. Das rationale Verhalten einer einzelnen Person führe in der Regel nicht zum gesellschaftlich optimalen Maß an Klimaschutz. „Ein nachhaltiges Leben lohnt sich, aber ist zunächst auch mit einem Aufwand verbunden, der nicht immer unmittelbar durch einen höheren Nutzen ausgeglichen wird“, spielt er auf die Freifahreranreize im Umwelt- und Klimaschutz an. Damit meint der Umweltökonom, dass auch Personen, die sich selbst nicht engagieren, von dem nachhaltigen Verhalten anderer profitieren. „Wir müssen diese Freifahreranreize offensiver angehen als bislang, das gilt insbesondere in der internationalen Klimapolitik!“

Mit Feldexperimenten die Wirksamkeit von klima- und energiepolitischen Programmen systematisch evaluieren

Die Transformation hin zu einer treibhausgasarmen Volkswirtschaft bedarf also großer gemeinschaftlicher Anstrengungen, sei es für die Entwicklung neuer Technologien oder aber, um etablierte Verhaltensmuster langfristig in neue Bahnen zu lenken. Deshalb schaut sich Martin Kesternich an, wie geeignete Mechanismen entwickelt werden können, um ein kooperatives Verhalten für Nachhaltigkeit zu fördern. Hierfür analysiert der Forscher das koordinierte und gemeinsame Vorgehen in der Klimapolitik und die Bedeutung dieser für die einzelnen Konsument*innen. Den Anknüpfungspunkt bildet hierbei stets die Frage „Wie treffen Menschen Entscheidungen und wie beeinflussen diese Entscheidungen die Wirksamkeit von klima- und energiepolitischer Regulierung?“. Häufig wird dazu das individuelle Verhalten mit Hilfe von Experimenten analysiert. Der zentrale Ansatz dieser Methode besteht darin, zwei Zustände bzw. Szenarien miteinander zu vergleichen, „also den Status-quo mit dem entsprechenden Politik- oder Programmszenario“. Entscheidend bei diesem Forschungsansatz ist es, dass die Proband*innen zufällig in die verschiedenen Gruppen aufgeteilt werden, um sicherzustellen, dass mögliche Unterschiede im tatsächlichen Verhalten auf die betrachtete Programmintervention zurückgeführt werden können. In der Unternehmenswelt sind solche „A/B Tests“ gängige Praxis und bieten daher vielfältige Möglichkeiten, akademische Forschung mit Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu verzahnen. „Aus meiner Erfahrung weiß ich, dass auf die anfängliche Skepsis gegenüber den Feldexperimenten schnell ein gemeinsamer „Aha-Effekt“ erfolgt.“ Dies sei nicht zuletzt auch für die beteiligten Nachwuchswissenschaftler*innen oftmals ein wichtiger Motivationsschub auf dem nicht selten langen Weg zur wissenschaftlichen Publikation.

In diesem Kontext sieht der Forscher auch an der Universität Paderborn zahlreiche Vernetzungsmöglichkeiten mit Unternehmen und Start-ups in OWL. Beispielsweise können diese die konkrete Wirksamkeit ihrer Geschäftsideen mithilfe von feldexperimentellen Designs zielgerichtet analysieren lassen, was einen großen Unterschied zu klassischen Big Data Ansätzen z.B. im Bereich der vorhersagenden Analysen darstellt. Hier sieht Martin Kesternich eine spannende Möglichkeit, die Verzahnung von ökonomischer Forschung und Praxis zum Thema Nachhaltigkeit konkret und greifbar zu machen. Gleichzeitig kritisiert der Wissenschaftler aktuelle gesellschaftliche Debatten zum Thema Nachhaltigkeit: „In vielen Fällen hat man das Gefühl, dass die Diskussionen ohne ausreichende Evidenz und zum Teil sehr dogmatisch geführt werden. Ich habe immer den Eindruck, es ist sehr leicht, eine Position zu vertreten, ohne dafür die notwendige Evidenz liefern zu müssen. Das sollten wir ändern.“ Diese Debatten ließen sich mit Hilfe des wirtschaftswissenschaftlichen Instrumentariums zusammenführen. Beispiele dafür bieten die aktuellen verkehrspolitischen Diskussionen um Tempolimits, Reichweiten von E-Fahrzeugen, Grenzwerte für Luftschadstoffe oder die Debatte um geeignete Instrumente zur Steigerung der Energieeffizienz in Wohngebäuden. Hier geht es insbesondere darum, durch den gezielten Einsatz der empirischen Ursachen-Wirkungs-Analyse konkrete und evidenzbasierte Antworten auf die zentralen wirtschaftspolitischen Fragen unserer Zeit zu liefern. Diese Analysen bilden den Kern der wissenschaftlichen Arbeit und damit die Grundlage für die wissenschaftsbasierte politische Beratung.

Aus diesem Grund freue es ihn umso mehr, die Professur für Volkswirtschaftslehre, insb. Nachhaltigkeit anzutreten: „Ich finde es eine großartige Initiative, das Center for Sustainable Economy hier an der Fakultät einzurichten, weil es eine einzigartige Chance bietet, den Nachhaltigkeitsaspekt ganzheitlich aus den verschiedenen Disziplinen der Wirtschaftswissenschaften zu denken. Ich bin der Universität Paderborn sehr dankbar dafür, Teil des Teams werden zu dürfen.“

Impulse im Ausland prägen die Arbeit in Forschung und Lehre

Das Herz des Forschers schlägt gleichermaßen für Volkswirtschaftswirtschaftslehre und die Umwelt. Zwei Perspektiven, die mehr Parallelen aufweisen als auf den ersten Blick zu erkennen sind. Für Martin Kesternich waren diese jedoch schon früh klar: Nach dem Abitur besuchte er verschiedene Entwicklungsländer. Die Auslandsaufenthalte lieferten Impulse für sein VWL-Studium, bei dem er sich mit der unterschiedlichen Fortschrittlichkeit verschiedener Länder beschäftigte. Während seines Studiums im Mannheim arbeitete der gebürtige Nordrheinwestfale außerdem bereits im Bereich der Umweltökonomik. Ausgehend davon ergaben sich verschiedene Auslandsaufenthalte, durch die er von der Forschungsbegeisterung anderer Forscher*innen angesteckt wurde. Vor allem der Forschungsaufenthalt an der Yale School of Forestry & Environmental Studies ist Martin Kesternich in Erinnerung geblieben: „Ich habe die Forschungsbegeisterung und intensive Diskussionskultur zwischen den Professor*innen und den Nachwuchsforschenden verschiedener Bereiche wirklich schätzen gelernt.“

Diese Diskussionskultur versucht er auch heute als Lehrender mit in seine Seminare zu nehmen. Grundsätzlich ist er davon überzeugt, dass alle Studierenden intrinsisch motiviert sind. Diese Motivation möchte Martin Kesternich wecken sowie fördern und auf diese Weise zeigen, wie Ökonom*innen denken und arbeiten. Seine eigene Vorliebe für reale Alltagserscheinungen ermutigt ihn dazu, viele alltägliche Fallbeispiele einzubinden, um seinen Studierenden ein gutes Gefühl für seine Arbeit zu vermitteln. „Ich möchte den Studierenden einen konsistenten Analyserahmen an die Hand geben, damit sie sich mit einem soliden Theorieverständnis sachlich in die aufgeladenen aktuellen Debatten einbringen können.“ Selbst blickt der Forscher dankbar auf seine eigene Studienzeit zurück, da er viele Türen gefunden habe, die ihm offenstanden. Vor allem seine frühe Orientierung als wissenschaftliche Hilfskraft habe ihm geholfen, Forschung greifbar zu machen. Von seinen Studierenden wünscht er sich: „Seien Sie mutig und kreativ und haben Sie Durchhaltevermögen – denn das sind wichtige Fähigkeiten in der Ökonomie.“

Foto (Universität Paderborn): Prof. Dr. Martin Kesternich untersucht als Umwelt- und Verhaltensökonom mit Hilfe von Feldexperimenten die Beziehungen zwischen Wirtschaft und der natürlichen Umwelt des Menschen.