In­no­va­ti­onsa­re­na 3i Pro­jekt­ab­schluss­kon­fe­renz in Pa­der­born – Er­geb­nis­se in die Brei­te tra­gen

Mit einem vielfältigen Themenprogramm würdigten die Paderborner Wirtschaftspädagogen/innen vom Lehrstuhl Prof. Dr. H.-Hugo Kremer am 24./25.September 2018 den gelungenen Abschluss des Projekts Innovationsarena 3i – „Professionelle Bildungsgangarbeit zur individuellen Förderung, inklusiven Bildungsarbeit und sozialen Integration“. Unter reger Beteiligung von Fachkräften aus insgesamt 28 teilnehmenden Berufskollegs, von Vertretern der Bezirksregierungen und des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes NRW zogen die Beteiligten eine Bilanz des Erfolgs.

Das vom Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen geförderte Projekt richtet nach den Worten des federführenden Wissenschaftlers Prof. Dr. H.-Hugo Kremer „den Blick auf eine verzahnte Personal- und Berufskollegentwicklung. Der Entwicklungsschwerpunkt liegt dabei auf Bildungsgängen der Ausbildungsvorbereitung.“
 

Kreative Ideen – neue Projekte

In Themenräumen informierten Vertreter/innen der Berufskollegs über neue Ideen und Projekte aus der „Innovationsarena 3i“, die sowohl systemischer Natur als auch direkt fachbezogen waren. So stand bei vielen Teilnehmer/innen neben zahlreichen weiteren Themen z. B. die Implementierung „multiprofessioneller Teamarbeit“ (mpT) oder die Entwicklung neuer Handbücher für Lehrer/innen und Schüler/innen im Vordergrund, die den Ansprüchen er „3 i“ gerecht werden sollten. Dabei lobten Heike Kundisch und Marie-Ann Kückmann aus dem 3i-Projektteam „Engagement und Ideenreichtum“ der Lehrer/innen in ihren Projekten – „immer mit dem Fokus auf die Schüler/innen.“ Obwohl viele Berufskollegs immer wieder vor neuen Hürden ständen (z. B. Personal- und Führungswechsel), würden sie dennoch zielgerichtet an den gemeinsam durchgeführten Projekten festhalten: „Das Projekt lebt von einem bemerkenswerten permanenten Entwicklungs- und Veränderungswillen und einer Selbstverpflichtung der Beteiligten.“ Das 3i-Team sieht sich durch die erfolgreiche Umsetzung kollegialer Austauschformate in dem Projekt in der Forderung bestätigt, dass den Teams der AV Hospitationen und Kooperationen mit anderen Berufskollegs ermöglicht werden müssen. Gewohnt kritisch mahnte Prof. Dr. H.-Hugo Kremer die Ressourcenfrage in den Berufskollegs an: „Die Umsetzung von Inklusion und individueller Förderung bedarf auch einer Betrachtung der Möglichkeiten an Berufskollegs!“

Kreativität zeigten die betreuenden Paderborner Wissenschaftler/innen auch anhand von Themenplakaten, die sie selbst entwarfen und von Christina Peitz, studentische Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Kremer, in bemerkenswert künstlerischer Qualität umsetzen ließen. Dass sie damit richtig lagen, zeigte das große Interesse der Teilnehmer/innen, die sich vor den Plakaten versammelten und sich in intensiven Diskussionen inspirieren ließen.
 

Berufliche Integrationsförderung

Den Tag 1 beschloss ein Vortrag des Erfurter Bildungswissenschaftlers Prof. Manfred Eckert: „Die Bedeutung der beruflichen Integrationsförderung und die Professionalität der Lehrkräfte an den berufsbildenden Schulen“ erwies sich als ein engagierter Motivationsbeitrag, der die anwesenden Berufsschullehrer/innen mitten in ihrer Arbeits- und Erlebenswelt ansprach. Eckert sprach zunächst über die historische Entwicklung der Berufskollegs, um dann die aktuelle Lage am Ausbildungsmarkt zu beleuchten. Das Berufskolleg sei im Allgemeinen eine integrative Leistungsschule, die nicht selektiv, sondern leistungsorientiert arbeite. Dabei würden die Aufgaben zunehmend professioneller, mit sozialpädagogischen Ansätzen, innovativen beruflichen Lernprozessen und Einbindung in Schulentwicklungsprozesse. Eckert: „Lehrer gestalten Lernwelten und fördern Kompetenzen. Es gibt keine Rezepte und keine standardisierten pädagogischen Handlungssituationen.... Wir brauchen Lehrer, die die individuelle Förderung umsetzen, welche die Schulkultur gestalten, ohne autoritär zu sein. Sie sollen die Jugendlichen dahingehend frei machen, dass sie später erfolgreich sind. Und sie müssen die Logik der Schüler erkennen und verstehen. Denn es kommt letztlich nicht auf das Ergebnis an, sondern auf die richtige Entwicklung der Denkwege ... Gerade in dieser Beziehung haben die Paderborner Modellversuche eine Menge in Bewegung gebracht.“
 

Inklusion in der beruflichen Bildung

Der zweite Projektabschlusstag stand im Zeichen eines weiteren wissenschaftlichen Vortrags. Prof. Dr. H.-Hugo Kremer referierte zu einem der Hauptthemen unter einer provokanten Überschrift: „Inklusion in der beruflichen Bildung: Wahn, Euphorie oder Zwang? Eine konstruktive Kritik auf dem Weg zu einer inklusiven Didaktik“. Kremers Vortrag enthielt zahlreiche Thesen, die er ohne Ausnahme kritisch beleuchtete und zur Diskussion stellte: „Das System Berufskolleg ist nicht inklusiv ausgerichtet..... der Diskurs um inklusive Didaktik muss geführt werden.“ Dabei setzte er drei thematische Schwerpunkte  für die Kollegs: 1. Kompetenzorientierung, 2. Inklusion und individuelle Förderung, 3. Lehren, Erziehen und Begleiten. Sein Credo: „Wir brauchen eine kompetenzorientierte Didaktik, die anders ausgerichtet ist als im dualen System.“

Zum Schluss seiner Ausführungen fasste Kremer zusammen, was die Projektbeteiligen aus „3i“ mitnehmen sollten:

  • Stellung und Wertschätzung der Ausbildungsvorbereitung als Bildungsgang im Berufskolleg
  • Einbindung sozialpädagogischer und sonderpädagogischer Profession
  • Kooperative Bildungsgangentwicklung durch Bildungsgangteams
  • Gesellschaftliche Wertschätzung und Anerkennung der Bildungsgangarbeit
  • Fokus auf das Berufliche
  • Verankerung von Austausch und Weiterentwicklung in der schulischen Bildungsarbeit
  • Haltung und Bereitschaft der Lehrkräfte – Voraussetzung und Ziel
  • Bildung stabiler Arbeitsgruppen
  • Vernetzung in Verbindung mit individueller und schulischer Unterrichts- und Curriculumarbeit.

Der Paderborner Bildungsforscher fordert, beim Thema Inklusion das Individuum ins Zentrum der Überlegungen zu stellen: „Inklusion fordert dazu auf, das Verhältnis von beruflicher Bildung, Arbeitswelt und Gesellschaft zu hinterfragen und neu zu bestimmen.“ Und kommt damit zu seiner abschließenden Aussage über das 3i-Projekt: “Die Projektarbeiten in 3i zeigen die damit verbundenen Anstrengungen in einem gesellschaftlichen Korsett, aber auch die Bereitschaften und Möglichkeiten, wenn ein Rahmen geschaffen wird.“ Die hohe Akzeptanz des dreijährigen Projekts wurde auch bei der anschließenden Podiumsdiskussion um 3i deutlich. 

 

Stimmen und Statements zu 3i aus der Podiumsdiskussion

Helmut Zumbrock, Leitender Regierungsschuldirektor, Bezirksregierung Detmold (Mitglied des 3i-Beirats):
„Das Projekt 3i hatte mich von Anfang an überzeugt, weil ich 3i-Generalist bin. Besonders begeistert hat mich, dass die drei Schwerpunkte stets separat, aber immer integrativ diskutiert wurden.“

Renate Gatzen, Bezirksregierung Köln (Mitglied des 3i-Beirats):
„3i bedeutet für mich: Ideen von anderen kennenlernen, sich daran reiben, andere Wege gehen. 3i berührt die drei großen Themenfelder der nächsten Zeit mit einer faszinierenden thematischen Mixtur, die den besonderen Blick auf die Schülerinnen und Schüler freigibt.“

Einwurf aus dem Publikum:
„Alles gut und wichtig, aber wenn die Schüler den Schutzraum Schule verlassen, ist die Welt ganz anders.“

Helmut Zumbrock:

„Die Berufskollegs bilden nicht nur aus, sondern leisten die Integration ihrer Schützlinge in das System. Dabei handelt es sich oftmals um integrative Schritte, die inklusiv wirksam werden. Ziel ist es, Selbstbestimmung zu verbessern. Wir können strukturelle Probleme nicht lösen, aber wir erhöhen die Akzeptanz von diskriminierten Menschen und Menschen mit Behinderung.“

Einwurf aus dem Publikum:
„Man sollte auch daran denken, die Betriebe an der Diskussion teilhaben zu lassen.“

Anke Bahl, Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB):
„Auch wenn Betriebe einen Bildungsauftrag haben, steht dort erstmal die Arbeit selbst und nicht das Lernen im Vordergrund. Das hat für Jugendliche durchaus Vorteile, weil es den Blick auf andere Dinge als in der Schule lenkt. Noten und Abschlüsse spielen hier eine weniger zentrale Rolle. Selbst ohne allgemeinen Schulabschluss ist die Aufnahme einer Ausbildung im Betrieb möglich. Entscheidend ist die Motivation des Jugendlichen.“

Prof. Dr. Nicole Naeve-Stoß, (Uni Köln):
„Was kann Uni tun? Die Universität hat zentrale Aufgaben, was die Lehrerausbildung betrifft. Eine ganz wesentliche Herausforderung ist es, Studierende dazu zu befähigen, Unterricht aus der Perspektive der Lernenden zu planen und umzusetzen, Schülerinnen und Schüler also als Individuen wahrzunehmen. Hier Haltung zu fördern ist eine der wichtigen Aufgaben in der Lehreraus- und -fortbildung.“

Prof. Dr. H.-Hugo Kremer:

„Besondere Bedeutung bei 3i hatte für mich, dass dieses Projekt einfach authentisch war und blieb - bei einer Ansammlung von fast 30 Projekten an verschiedenen Berufskollegs. Und das waren Arbeiten über reale Probleme.“

Renate Gatzen:

„Jetzt ist das Projekt zu Ende, fallen jetzt auch die Aufgaben weg? Nein, dem ist nicht so. Wir müssen es schaffen, den Austausch untereinander im Gang zu halten.“

Dr. Petra Frehe–Halliwell, 3i-Projektteam, Moderatorin der Podiumsdiskussion:
“3i hat gezeigt, dass der Übergang Schule – Beruf ins Licht des Interesses gerückt ist.“

Helmut Zumbrock:

„Wir brauchen eine Didaktik der Ausbildungsvorbereitung. Und die muss inklusiv gestaltet sein.“

Prof. Dr. H.- Hugo Kremer:

„Ich würde mich freuen, wenn Inklusion auch in der Dekade der Digitalisierung ein Thema bleibt.“
 

Interview: Ute Wohlgemuth

Als Ministerialrätin aus dem NRW-Ministerium für Schule und Bildung hat Ute Wohlgemuth schon zahlreiche Berufsbildungsprojekte der Paderborner Wirtschaftspädagogen mit großem Engagement und echtem Herzblut begleitet. Im Interview gibt sie ihre Erfahrungen und Eindrücke wieder, die sie im Lauf der 3i-Entwicklung gesammelt hat.

Frage: Was war für Sie das Besondere an 3i?

Ute Wohlgemuth: 3i hat es verstanden, an ältere, bereits abgeschlossene Projekte anzuknüpfen und diese weiterzuentwickeln. Und das in einer stets guten, gemeinsam erlebten, Arbeitsatmosphäre. Unsere Lehrerinnen und Lehrer fühlten sich immer auf Augenhöhe mitgenommen. Dabei blieben die Aufgaben immer klar definiert: Die Wissenschaftler geben Anregungen und stoßen Entwicklungen an, die Berufskollegs setzen das  - angepasst an ihre Bedürfnisse – um.  Funktioniert aber nur, wenn man der Wissenschaft ihre Freiheit lässt, was ja auch in der direkten Kooperation zwischen der Uni Paderborn und unserem Ministerium sehr gut klappt. Und was aus meiner Sicht noch besonders ist, sind die beeindruckenden Arbeitsergebnisse der Kollegs und die offensichtliche Dankbarkeit der Lehrerinnen und Lehrer, die sich immer wieder ermutigt fühlen, voranzuschreiten und die Entwicklung ihrer Schulen weiter zu treiben.

Frage: Wie geht es nun weiter?

Ute Wohlgemuth: Wir werden in Absprache mit der Universität Paderborn und den Dezernaten 45 (Berufskollegs) und 46 (Fortbildung) der Bezirksregierungen und der Soester Qualis-Unterstützungsagentur die Gespräche fortsetzen und diskutieren, wie sich die erzielten Ergebnisse verstetigen lassen. Und wir wollen mit den Bezirksregierungen als übergeordneter Behörde der Berufskollegs sprechen, ob und wie sie Anregungen aufnehmen können, um die Ergebnisse von 3i in die Breite zu tragen. Wir haben sehr viel erreicht und es macht Sinn, dieses Erreichte festzuhalten.  Die Projektergebnisse werden wir auch ins Bildungsportal NRW einstellen. Unter anderem diskutieren wir auch über die eventuelle Einrichtung eines Lehrstuhls „Ausbildungsvorbereitung“. Wir pflegen intensive Kontakte zu den Arbeitsagenturen, wir führen gemeinsam mit den Berufskollegs das Projekt „Talentschulen“ durch, wo wir bestimmte pädagogische Projekte testen können. Was uns gleichzeitig die Möglichkeit eröffnet, die Arbeit der Berufskollegs in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen.

Frage: Wird die Kooperation mit den Paderborner Bildungsforschern fortgesetzt?

Ute Wohlgemuth: Das Systemische erlaubt mehr, als die Berufskollegs bislang nutzen. Deswegen werden wir nicht müde, die Kolleginnen und Kollegen dort zu ermutigen, die didaktischen Freiräume zu nutzen. Und da muss ich sagen, es ist ein Privileg, wenn wir die Wissenschaft an unserer Seite haben. Es ist ein Geben und ein Nehmen. Und dazu kommt: Die kollegiale Zusammenarbeit mit Professor Kremer und seinem Team ist exzellent.
 

Vernissage schafft Assoziationen

Mit der Erstellung von 15 kreativen und aussagefähigen Plakaten wollten Marie-Ann Kückmann, Heike Kundisch, Christina Peitz und Leonie Schmid in den Tagungspausen Anregungen geben und Assoziationen wecken. Die Stimmen von Tagungsteilnehmern beweisen, dass das gut gelungen ist.

Claudia Lux und Mira Duk, BK Technik und Gestaltung, Gelsenkirchen
„TRANSPARENZ“
Uns ist dazu eingefallen: Wir müssen die Transparenz im Kollegium erhöhen und die Aufgabenverteilung neu strukturieren. Das schafft dann auch mehr Klarheit für unsere Schülerinnen und Schüler.“

Helmut Zumbrock, Bezirksregierung Detmold
„ROLE MAKING“Ich sehe durch die Puzzle-Darstellung unterschiedliche Realitätswahrnehmungen. Die Maske assoziiert „Rolle“ oder „Schauspiel“, d. h., man kann nie ausschließen, dass die wahre Identität der Persönlichkeit entspricht, die gerade vor einem steht.

Kerstin Ruhland, Hermann-Emanuel-Berufskolleg des Kreises Steinfurt
„MULTIPROFESSIONELLE TEAMARBEIT“
Für mich sind alle drei Varianten des Früchtemotivs interessant, denn Heterogenität und Vielfalt widerspiegeln meine Arbeit im Berufskolleg.“

Angelika Klapproth-Brill, Bezirksregierung Detmold, Dezernat 46
„ANSTOß GEBEN“
„Fortbildungen geben Anstöße für weitere Entwicklungen. 3i gibt mir Anstöße mit sehr vielen Ideen für Entwicklungen in den Bildungsgängen.“

Maren Ohde und Monika Hülsmann, Paul-Spiegel-Berufskolleg, Warendorf
„ANSTOß GEBEN“
„Jede der Billardkugeln entscheidet für sich, wo sie hinrollt. Wir zeigen Lebensperspektiven auf, wollen unsere Schützlinge aus der Lethargie herausholen. Wir erwarten uns von 3i Anstöße für die Ausbildungsvorbereitung.“

Janis Katz, Felix-Fechenbach-Berufskolleg, Detmold
„VERTRAUEN“
Ich denke da spontan an stage diving: Fällt einer der Schüler, wird er von den anderen aufgefangen, nach der Devise: Du bist nicht allein, wir ziehen alle an einem Strang!

Ute Wohlgemuth, Ministerium für Schule und Beruf, Düsseldorf
„MULTIPROFESSIONELLE TEAMARBEIT“
Ich finde alle Plakate sehr treffend und gelungen. Besonders haben es mir die mpT-Motive angetan. Verschiedene Apfelsorten, verschiedene Zustände, halbe und angebissene Äpfel – das trifft das Thema ganz und gar. Eine grandiose Idee!

Text: Reinhard Schwarz

Abbildung: Plakat „Multiprofessionelle Teamarbeit III“ aus der Reihe „VitaminReich!?“
Abbildung: Plakat „Multiprofessionelle Teamarbeit III“ aus der Reihe „VitaminReich!?“
Abbildung: Plakat „Anstoß geben“ aus der Reihe „Steuerung aus der Mitte!?“
Abbildung: Plakat „Anstoß geben“ aus der Reihe „Steuerung aus der Mitte!?“
Abbildung: Plakat „Vertrauen“ aus der Reihe „3i-Fundament“
Abbildung: Plakat „Vertrauen“ aus der Reihe „3i-Fundament“

Kontakt