Frieren und Schwitzen mit den Finnen – Julias Reisebericht
Finnland ist sicher nicht die Nummer 1 auf der Wunschländer-Liste für Auslandsaufenthalte. Viele möchten gerne in die Sonne, in weltbekannte Metropolen, mal richtig weit weg – das kann das nordische Land nicht bieten. Aber Spanien oder Frankreich kennt jeder, da bietet Finnland mit seinen Temperaturen und Landschaften das Kontrastprogramm, dass Julia Winkelmann so gereizt hat.
„Ich wollte in ein Land, von dem ich noch keine Vorstellung hatte, wie es da wohl ist.“ Von August bis Dezember 2018 studierte Julia an der Paderborner Partner-Uni in Tampere. Die 22-jährige Masterstudentin aus Minden hat damals im Bachelor International Business Studies (IBS) studiert und die Chance auf einen Auslandsaufenthalt im fünften Semester genutzt. Anschließend war sie von Januar bis März noch als Volunteer in einem AIESEC-Projekt an einer Highschool in dem kleinen Ort im Haaparjärvi tätig.
Still. Stiller. Finnland.
Tampere ist mit ca. 235.000 Einwohnern die drittgrößte Stadt Finnlands und hat damit um die 80.000 Einwohner mehr als Paderborn. „Vom Gefühl her ist die Stadt aber nur ein wenig größer als Paderborn. Mit dem Unterschied, dass man in nur zehn Minuten zu Fuß mitten im Wald oder an einem der Seen ist.“ Tampere liegt genau zwischen den Seen Näsijärvi und Pyhäjärvi. Da sei man schnell komplett in der Natur und könne in Stille entspannen und seine Umgebung genießen. In absoluter Stille. „Du kannst dir nicht vorstellen, wie still das ist, wenn du das nicht erlebt hast.“
Keine Klausurenphase
Das Kursangebot an der finnischen Uni fand Julia gut, denn es gab inhaltliche Überschneidungen zu den Kursen in Paderborn, aber auch andere Themen und Richtungen. „Nur die Lehrformate waren schon anders.“ Statt vielen Vorlesungen und Seminaren gab es mehr Gruppenarbeiten, auch in großen Kursen, mehr Hausarbeiten und einen größeren Anteil an Selbststudium. Das Semester ist zudem in zwei Perioden unterteilt und einige Kurse dauern so nur sechs Wochen. „Das war schon eine neue Erfahrung. “
Statt der üblichen Klausurenphase am Ende des Semesters fanden regelmäßige Abgaben statt, sodass Julia nur eine Klausur vorbereiten musste statt der üblichen drei bis sechs. „Ich musste während des Semesters und unter der Woche dann mehr tun, aber das wurde auch mit angemessenen Noten belohnt.“ Viele der Kurse konnte sie sich für ihr Studium in Paderborn anrechnen lassen.
Entdeckungsreisen am Wochenende
Die Wochenenden wurden möglichst freigehalten und lieber in der Woche eine Stunde länger gemacht, denn am Wochenende standen Ausflüge an. Das Erasmus Student Network (ESN) organisierte viele Touren und sorgte so für eins von Julias absoluten Highlights: Lappland. Im hohen Norden ging es Schneeschuh-Wandern, Hundeschlitten fahren und Rentiere streicheln – und die berühmten Nordlichter bewundern. „Dieses Naturschauspiel war die coolste Erfahrung.“
Neben finnischen Ausflugszielen, wie den Städten Turku, Oulu und Helsinki oder den Åland Inseln, ging es über die Landesgrenzen hinaus nach Tallinn, Riga, Stockholm und St. Petersburg.
Finnische Sprache, schwere Sprache
„Über eine Sprachbarriere habe ich mir keine Sorgen gemacht“, erinnert sich Julia. Sie hat während ihres Aufenthalts in Tampere einen Finnisch-Sprachkurs gemacht, allerdings hat sie den fast nie gebraucht, selbst während ihres Volunteer-Projekts an einer Highschool im kleinen Haaparjärvi nicht. „Es sprechen wirklich alle Englisch. Und die Finnen sind eher nicht so die Smalltalker, den muss man also nicht üben.“ Dazu kommt: In Finnland besteht an vielen Schulen auch die Möglichkeit, Deutsch zu lernen, so auch in Haaparjärvi.
„In meinem Projekt von AIESEC habe ich einen Kurs für nachhaltige Entwicklungsziele gegeben und im Englisch- und Deutschunterricht unterstützt.“ Die zwei Monate ließen sich gut einplanen, da das Semester in Finnland früher beginnt und auch endet.
Zwischen 40 Grad Minus und 100 Grad Plus
Die Dunkelheit und die Kälte haben Julia nicht viel ausgemacht. „Man stellt sich das vielleicht schlimmer vor, als es ist.“ Tagsüber hatte sie immer genug Zeit, um rauszugehen und Licht zu tanken und die Temperaturen in Tampere waren mit ein paar Grad unter 0 zu ertragen. Im nördlichen Lappland sah es da schon ein bisschen anders aus: „Da hatten wir dann -40 Grad und es wurde den ganzen Tag über gar nicht richtig hell.“
Das andere Extrem war ebenfalls eine ganz neue Erfahrung für Julia: die finnische Sauna. Klar, in so einer Sauna war man auch in Deutschland schon mal. Sitzen, Schwitzen, Schweigen.
In Finnland läuft das aber etwas anders: Erstmal gibt es viele öffentliche Saunen und da geht es auch regelmäßig hin. Wenn die Finnen im Alltag vielleicht etwas ruhiger und introvertierter sind, tauen sie beim Saunieren richtig auf: Es wird laut geredet, sich mit Zweigen abgeklopft und dann in den eiskalten See gesprungen.
Auch die Party-Kultur war eher ungewohnt. In Finnland sind „Sit Sit“ sehr beliebt: Feiern, bei denen man an langen Tafeln sitzt. Es gibt einen Moderator, es werden Lieder gesungen, getrunken und Spiele gespielt. „Das war sehr viel cooler als es erstmal klingt!“
Neue Perspektiven ergeben sich
Für Julia war ihre Zeit in Finnland eine riesen Bereicherung. „Ich habe gelernt, etwas anders zu denken und mich in andere hineinzuversetzen. Die interkulturellen Kompetenzen werden einfach extrem gestärkt.“
Durch ihren Auslandsaufenthalt kann sich Julia jetzt auch eine Karriere im internationalen Umfeld oder einer international tätigen Organisation im Bereich Personal vorstellen. Darauf bereitet sie ihr Masterstudium der Betriebswirtschaftslehre an der Uni Paderborn weiter vor.
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