Der Hür­den­läu­fer

 |  StoryFakultät Wirtschaftswissenschaften

Erst seine Umwege hätten ihn zu dem gemacht, der er heute ist, sagt Daniel Hagemeier: Als erster in seiner Familie nahm er ein Studium auf – da hatte er bereits eine Ausbildung absolviert und einen Sitz im Stadtrat inne. Heute erforscht er, wie sich unterschiedliche Bildungswege besser verknüpfen lassen.

Sein Einstieg in die Welt der Wirtschaft beginnt mit einer Enttäuschung. „Banken: Das ist etwas Solides!“, habe seine Großmutter immer gesagt, wenn sie gemeinsam an der Sparkasse ihrer Heimatstadt vorbeiliefen, erinnert sich Daniel Hagemeier. „Ihr haben wohl die seriös gekleideten Angestellten dort imponiert – und auch die Ernsthaftigkeit, die sie ausstrahlen.“ Deshalb ist schnell klar, wo der Ostwestfale nach der mittleren Reife hinwill: Er beginnt im August 2008 eine Ausbildung zum Bankkaufmann.

Ein Realitätsschock, wie der Wirtschafts- und Sozialpädagoge heute sagt. Denn schon einen Monat später fegt die Finanzkrise über die internationalen Märkte. „Und auf einmal musste ich feststellen, dass das seriöse Auftreten vieler Banken nur Fassade ist. Ich erlebte, wie angeblich sichere Anlagen in sich zusammenbrachen. Und bei mir am Schalter standen Menschen, die verzweifelt waren oder wütend: Weil sie Angst um ihren Job hatten oder den Kredit für ihr Haus nicht mehr bedienen konnten.“

Für Hagemeier eine einschneidende Erfahrung: Er beschließt, dem Finanzwesen den Rücken zu kehren und stattdessen wieder zur Schule zu gehen. Nach der Ausbildung holt er also sein Abitur nach entscheidet sich dann auch für ein Studium. Und als er gefragt wird, ob er als Doktorand an der Universität Paderborn bleiben will, sagt er sofort zu. Heute lehrt und forscht er deshalb an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften, und das mit dem Schwerpunkt Bildung. Denn Hagemeier will dafür sorgen, dass viel mehr Menschen ihre beruflichen Chancen entdecken – so wie er.

Dabei war seine wissenschaftliche Laufbahn alles andere als vorgezeichnet: Seine Eltern sind Nicht-Akademiker, er ist in seiner Familie der erste, der nach der Schule überhaupt überlegt, an die Uni zu gehen. Seine Eltern fördern diese Idee zwar, weil sie aber selbst im Handwerk und im Verkauf arbeiten, fällt es ihnen schwer, ihn bei seiner Entscheidung zu beraten. Auch finanziell können sie ihren Sohn kaum unterstützen: Zuhause sind noch jüngere Geschwister zu versorgen.

In sein erstes Semester startet Hagemeier deshalb neugierig, aber auch verunsichert: „Mir war unklar, was genau mich erwartet – und was umgekehrt von mir erwartet wird.“ Außerdem muss er von Anfang an neben dem Studium 20 Stunden pro Woche arbeiten – sonst reicht das Geld nicht, obwohl Hagemeier ein Stipendium der Stiftung der Deutschen Wirtschaft erhält. „Für Kinder von akademisch gebildeten Eltern läuft dieser Wechsel von der Schule ins Studium meist viel einfacher“, kritisiert er deshalb. „Hier müssen wir als Gesellschaft nachbessern.“

Dafür will der 32-Jährige auch mit seinem Forschungsprojekt sorgen. Er widmet sich dem Thema „Lokales Bildungsmanagement“, also der Frage, wie Gemeinden ihre Lernangebote so gestalten können, dass sie sowohl zu den Interessen und Talenten der Menschen vor Ort passen, als auch die Bedürfnisse der regionalen Wirtschaft und lokaler Organisationen berücksichtigen. Welche Förderung brauchen zum Beispiel Kinder und Jugendliche, damit der Übergang von der Kita in die Schule oder von der Lehre in den Beruf möglichst reibungslos gelingt? Welche digitalen Tools helfen Berufstätigen bei der Suche nach einer passenden Weiterbildung? Und welche Unterstützung benötigen Ehrenamtliche, die sich in Bildungsfragen engagieren, etwa indem sie Deutschunterricht für Geflüchtete anbieten?

Antworten auf derartige Fragen sucht Hagemeier unter anderem in dem Projekt ImTransRegio: Gemeinsam mit anderen Forschenden begleitet er dabei die Arbeit von regionalen Transferagenturen. Diese staatlichen Stellen wollen das Bildungsangebot vor Ort verbessern, indem sie die unterschiedlichen Einrichtungen vernetzen – das können zum Beispiel Anbieter*innen von Weiterbildungskursen sein oder Unternehmen, die sich besonders intensiv um Azubis bemühen, aber auch Fußballvereine, die Nachmittagsangebote für Schulen schaffen.

Das Bundesbildungsministerium fördert das Projekt mit 2,5 Millionen Euro, schließlich gilt es als Leuchtturm in der Bildungsforschung: Netzwerke, Suchmaschinen und Lernangebote, die in den untersuchten Kommunen besonders gut laufen, könnten bald auf Bundesebene ausgeweitet werden. Schon heute arbeiten die Paderborner Wissenschaftler*innen mit zehn Transferagenturen in ganz Deutschland zusammen. Hagemeier untersucht dabei die Angebote im Kreis Lippe. „Dort findet sich eine Fülle an interessanten Projekten: von Grundschulen, die Kinder mithilfe von Minicomputern für das Programmieren begeistern, bis hin zu einem Studienzentrum, das sich gezielt an Menschen über 50 wendet.“

Der Blick auf die Region liegt Hagemeier allerdings nicht nur als Wissenschaftler: Auch politisch ist er auf kommunaler Ebene aktiv. 2009, mit nur 18 Jahren, wird er erstmals in den Rat seiner Heimatstadt gewählt – womit er gleichzeitig den Generationsumbruch im örtlichen CDU-Stadtverband einleitet. Schon lange engagiert er sich außerdem in seiner Kirchengemeinde und arbeitet in der Caritas mit: Vor einigen Jahren zog er gemeinsam mit seiner Frau zurück nach Versmold. Das Paar lebt dort heute mit zwei Kindern und Hagemeier pendelt seitdem zur Uni.

Den Weg hierher, in die Wissenschaft, will er auch für andere Kinder ohne akademisches Elternhaus ebnen. Wichtig sei dafür zuallererst, sich Hilfe zu holen, sagt Hagemeier, bei Beratungsstellen zum Beispiel oder bei Lehrkräften, die man mag. Schwierige Phasen ließen sich außerdem viel besser mit Verbündeten überstehen, so der Wissenschaftler: „Ein Studium schafft keiner allein, das ist auch Teamwork.“ Er selbst trifft seinen bis heute wichtigsten Mitstreiter gleich am ersten Tag des Studiums: Zufällig sitzen sie nebeneinander in einer Vorlesung und stellen fest, dass sich ihre Lebensläufe ähneln. „Auch mein bester Freund und Trauzeuge Fabian kommt aus einem nicht-akademischen Haushalt und hat den Weg ins Studium erst über Umwege gefunden.“

Wobei Hagemeier stolz ist auf seine Umwege: Ohne sie wäre er heute nicht derselbe, sagt er. „Viele Hürden haben sich in Chancen verwandelt.“ Seine Liebe zur Lehre etwa habe er erst an der Fachoberschule entdeckt – weil er dort auf motivierende Lehrkräfte traf. Auch sein Abi wäre ohne diese Zwischenstation schlechter ausgefallen, ist der Wissenschaftler überzeugt: „Davor war ich ein eher fauler Schüler: Mir fehlte der Praxisbezug.“ Und auch seine Zeit bei der Bank, mitten in der Finanzkrise, habe ihn nachhaltig geprägt: Er wisse dadurch noch einmal besser, wie stark viele Familien belastet sind, sei es finanziell oder durch enorm fordernde Jobs. „Das müssen auch wir Bildungsfachleute berücksichtigen: Für viele Menschen ist der Gedanke an eine Weiterbildung purer Luxus.“

Seine eigene Karriere plant Hagemeier erst einmal bis Ende 2023, dann reicht er voraussichtlich seine Doktorarbeit ein. Danach würde er gerne in der Wissenschaft bleiben: ihm liege der stete Wechsel zwischen Lehre, Textarbeit und Forschung vor Ort. Wobei ihm gerade diese Termine wichtig sind.

Vor kurzem traf er zum Beispiel den Direktor einer Gewerbeschule, der ihm stolz seine neue Werkstatt zeigte. Jugendliche können sich dort fit machen für die Industrie 4.0, lernen also an digitalisierten Maschinen. „Als der Mann sie vorführte, hatte er dieses Leuchten in den Augen“, erzählt Hagemeier. „Davon lebt Bildung: dass sich Menschen vor Ort engagieren. Und das berührt und inspiriert mich nach wie vor.“

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Daniel Hagemeier

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