Menschen mit Behinderung und Experten aus Politik und Wissenschaften trafen sich im Rahmen der Fotoausstellung „Inklusion! Mittendrin statt nur dabei“ am Dienstag, 17.11. 2015 unter der Moderation des Paderborner Wirtschaftspädagogen Prof. Dr. H. Hugo Kremer zur Diskussion über das Thema „Inklusion zwischen Wunsch und Wirklichkeit“.
In seiner Begrüßung dankte Prof. Kremer den Organisatorinnen Nadine Kröger von der Paderborner Elterninitiative „Down Syndrom na und? – nur Mut!“ und
Ursula Stienen, 1. Vorsitzende der Lebenshilfe Paderborn, für das Zustandekommen dieser Podiumsdiskussion. Wie aktuell die Problematik dabei ist, zeigten gleich zu Anfang die Statements der Betroffenen. Marc Busche, Vater einer blinden Tochter, verwies auf den steinigen Weg im Umgang mit den Behörden vor allem dann, wenn es ums Geld ginge: „Wir als Elternpaar waren in der Lage, uns massiv zu Wort zu melden und uns durchzusetzen, so dass wir mittlerweile die meisten Schwierigkeiten für unsere Tochter aus dem Weg räumen konnten, aber: Wir befürchten, dass diese Hartnäckigkeit längst nicht jeder an den Tag legen kann – und ohne geht gar nichts!“
Behinderte sind keine Menschen zweiter Klasse!
Rita Busse, Mutter einer 29-jährigen Tochter mit Down Syndrom, kämpft und lebt seit 29 Jahren mit diesen Fragen im Umfeld der Inklusion: „Inklusion braucht Zeit und Geld und muss wachsen.“ Doch auch dann hören die Probleme nicht auf: „Meine Tochter arbeitet gut integriert in einem Kindergarten, ihre berufliche Integration scheint nun aber an der Einführung des Mindestlohns, der Menschen mit Behinderung vielfach nicht zugestanden wird, zu scheitern.“
Markus Storm lebt im Elternhaus seit 32 Jahren mit Down Syndrom und hat die Gesamtschule besucht: „Mein Wunsch ist es, endlich mal einen Arbeitsplatz zu finden.“ Yvonne Mitschke (39), mit tetraspastischer Lähmung von den Ärzten in ihrer Kindheit so gut wie aufgegeben, kann dank der unermüdlichen Unterstützung und Hartnäckigkeit ihrer Eltern heute an Unterstützen gehen und allein in einer Wohnung leben: „Eltern müssen die Behinderung ihres Kindes annehmen und es behandeln wie jedes andere auch. Wir sind keine Menschen zweiter Klasse!“
Massive Probleme bei Wohnungsbeschaffung und Finanzplanung
Der Beitrag von Viktor Engelke, Leitung „Ambulant unterstütztes Wohnen“ bei der Lebenshilfe Paderborn, leitete bereits die zweite Runde der Expertendiskussion ein. Hier wurde deutlich, wie gravierend immer noch die strukturellen Defizite bei Umsetzung der Inklusion in allen Bereichen sind: “Wir haben massive Problem bei der Wohnungsbeschaffung für unsere Klientel“, klagt er an, „wenn es mal etwas Adäquates – klein, bezahlbar und mit guter Infrastruktur - gibt, werden unsere natürlichen Konkurrenten, die Studierenden, von den Vermietern immer vorgezogen.“ Des weiteren beklagt Engelke, dass öffentlich geförderte behinderte Menschen kaum die Möglichkeit hätten, ein bescheidenes Vermögen anzusparen, da alles, was den Betrag von 2.600 Euro übersteige, von den Behörden eingezogen werde: „Hier muss dringend etwas passieren!“
Inklusion ist eine große gesellschaftliche Aufgabe
In seiner Überleitung zur Expertenrunde machte Prof, Kremer die Arbeitsfelder in Sachen Inklusion deutlich: Wohnen, Finanzen, Schule,. Arbeit - was die anwesende Landtagsabgeordnete Sigrid Beer mit Verweis auf das immer noch brach liegende Bundesteilhabegesetz so kommentierte: „Wir brauchen für die notwendige Grundlagenschaffung endlich dieses Gesetz!“ Daran schloss sich die Forderung von Constantin Grosch, Botschafter der Deutschen Ges. f. Muskelkranke, an, dass dieses Gesetz auf der Grundlage von Chancengleichheit für alle Menschen mit und ohne Behinderung verabschiedet werden müsse: „Inklusion ist Chancengleichheit!“
Darüber herrschte Einigkeit auch bei den weiteren Diskutanten wie z.B. Claudia Steenkolk von der SPD, Andreas Henke vom Bundesvorstand der Lebenshilfe, Elisabeth Feldhues, Beauftragte der Landesregierung für Menschen mit Behinderung, Dr. Oliver Vorndran, Leiter des Bildungs- und Integrationszentrums Kreis Paderborn und Dr. Ralf Schieferdecker, Wissenschaftler in Sachen Sonderpädagogik, die das Bundesteilhabegesetz als d i e Grundlage für alle weiteren nötigen Maßnahmen sehen. Dann erst habe man ein wichtiges Instrument gegen Mehrfachbenachteiligung (z.B. Geschlecht, Behinderung, Migration), für sonderpädagogische Unterstützungsmaßnahmen, Überwindung der „Schockstarre“ bei Eltern mit „normalen“ Kindern, die sich durch die Inklusion behindert fühlten, für behindertengerechte bauliche Ergänzungen in Schulen, für gerechte Entlohnung von Arbeit und überhaupt ein Recht auf Arbeit.
Grund genug für Diskussionsleiter Kremer in seinem Schlussstatement auf die Komplexität der ungelösten Aufgaben hinzuweisen und eine Fortführung dieses öffentlichen Diskurses anzuregen.