Paderborn, den 10.11.2014. Zum Ende des mit 1,9 Millionen Euro durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und den Europäischen Sozialfonds (ESF)geförderten Bildungsprojekts „InBig“ konnten sich die Paderborner Wirtschaftspädagogen Prof. Dr. H.- Hugo Kremer und Prof. Dr. Marc Beutner mit Team bei der Abschlusskonferenz am 20./21. Oktober 2014 von den anwesenden Ministerialbeamten aus vier Bundesländern und beteiligten Berufskollegs eine sehr erfolgreiche und zielführende Arbeit bescheinigen lassen. InBig hat in der Berufskollegszene tiefe Spuren hinterlassen und Zeichen gesetzt, wichtige evolutionäre Prozesse angestoßen und ein neues Denken eingeleitet. Das machte u.a. Detlef Zech, Referent im Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW deutlich: „Durch InBig haben wir erkannt, dass in unseren Lehrplänen weniger die Beruflichkeit und mehr die Förderung der Basiskompetenzen im Vordergrund stehen müssen. Das Programm hilft uns, den Transfer dieser Ergebnisse optimal durchzuführen.“
Anlässlich des 1. Paderborner InBig-Expertenforums im Oktober 2013 (Individuelle Kompetenzentwicklungswege: Bildungsgangarbeit in einer dualisierten Ausbildungsvorbereitung), das innovative Wege bzw. „Bildungsgänge“ für benachteiligte Jugendliche aufzeigte, denen es noch an beruflicher Orientierung fehlt und die den Übergang zur Ausbildung aus eigenem Zutun nicht bewältigen können, hatte Prof. Dr. Marc Beutner als einer der beiden wissenschaftlichen Leiter verdeutlicht: „Die Antwort auf unsere Fragen zur Entwicklung von effizienten Bildungsgängen liegt in der Individualisierung, z.B. indem wir dem Einzelnen praktische Erfahrungen für seine Berufsorientierung vermitteln. Das können durchaus auch gezielte Maßnahmen sein, die einem Jugendlichen bei mangelnder physischer Kraft oder psychisch bedingtem Motivationsverlust Hilfestellung leisten.“ In der Rückschau nun lag die Herausforderung nach Einschätzung der Professoren Kremer und Beutner darin, „individuelle Kompetenzentwicklungswege über Bildungsgang- und Curriculaarbeiten zu gestalten, entsprechende Umsetzungskonzepte zu entwickeln, zu evaluieren und in berufsbildenden Schulen zu etablieren.“
InBig-Vorgaben von beteiligten Berufskollegs konsequent umgesetzt
Heute zeigt sich, dass die beteiligten Berufskollegs aus Städten wie z.B. Dortmund, Essen, Euskirchen, Geilenkirchen, Minden, Paderborn und Troisdorf dieser erwünschten Individualisierung uneingeschränkte Praxistauglichkeit erteilen können. So berichteten Horst Auweiler und Thomas Engelsch vom Thomas-Eßer-Berufskolleg Euskirchen von ihrer Entwicklung einer individualisierten Bildungsgangstruktur, ihren erfolgreichen Bemühungen, die traditionelle Klassenstruktur aufzulösen und Kurse anzubieten, die direkt den Berufsgruppen zugeordnet sind: „Dabei gaben uns die wissenschaftlichen Betreuer aus Paderborn die Möglichkeit, auch Ideen der anderen Berufskollegs aufzugreifen und mit wissenschaftlichem Input umzusetzen. Für uns eine echte und wertvolle Unterstützung.“ Auch Julia Umlauf vom Troisdorfer Georg-Kerschensteiner-Berufskolleg und das ganze Team setzten auf die Paderborner Bildungsexperten: „Es war eine sehr enge und erfreuliche Zusammenarbeit. So sorgte Prof. Beutner persönlich durch Referate vor Ort für eine wissenschaftlich abgesicherte Begleitung und dafür, dass wir mit anderen Berufskollegs einen regen Austausch pflegen konnten.“ Die Troisdorfer bekämpften die Probleme einer breit gefächerten Heterogenität der Schüler und einer negative Grundeinstellung zum Lernen unter der Fragestellung: ‚Wie können wir individuell auf die Schüler eingehen und sie zum selbstständigen Arbeiten führen?’
Paderborner Wirtschaftspädagogen moderierten Austausch unter den Berufskollegs
Durch Einführung von „Quests“ genannten Lernjobs (z.B. „Deutsch) und Entwicklung von Teamaufgaben können die Jugendlichen nun in einem so gestalteten Brückenkurs den 9er-Abschluss machen. Das Dortmunder Robert-Bosch-Berufskolleg befasste sich mit dem Thema „Medienkompetenz“ und mit der Abhängigkeit der Schüler von Medien wie z.B. Handys. Das neue Fach ließ die Schüler über die Voraussetzungen für einen effizienten Unterrichtsablauf und den adäquaten Umgang mit Medien diskutieren. Die Themen hier: Soziale Netzwerke, digitale Fußspuren, Nutzung von Standardsoftware, Urheberrechte usw. Die Paderborner Wirtschaftspädagogen erstellten u.a. die Dokumentation über die Entwicklungsabläufe. Ingbrecht Haberer vom Dortmunder Berufskolleg konnte sich in der Kooperation über jede Menge neuer Ideen freuen: „Die Paderborner gaben uns kontinuierlich neue Anregungen und moderierten den Austausch mit anderen beteiligten Berufskollegs.“ Der erste Tag der Abschlusskonferenz endete mit einer Präsentation der Ergebnisse der Berufskollegs in Kleinforen mit Themen wie „Betreutes Selbstlernen und individualisiertes Praktikum“, „Änderungsmanagement im Berufskolleg und „Theaterpädagogik“.
In seiner Abschlussrede zum ersten Tag beschrieb Prof. Dr. H.-Hugo Kremer das Projekt „InBig“ als „Katalysator einer Entwicklung vor Ort“, was von den Anwesenden vorbehaltlos bestätigt wurde, Kremer: „Es war kein leichter, aber ein anregender und Perspektiven entwickelnder Weg.“
Tag 2 der Konferenz nutzten die beteiligten Ministerialbeamten aus verschiedenen Bundesländern, um über die Situation der Berufskollegs und ihrer Arbeit dort zu berichten. Ministerialrat Werner Lucha vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus gab einen Situationsbericht über die Ausbildung von Jugendlichen ohne Ausbildungsplatz an bayerischen Berufsschulen. Dabei stehe die Förderung von Beruf und Sprache im Vordergrund. Um den Bedürfnissen der Berufsschulpflichtigen, Asylbewerbern und Flüchtlingen Rechnung zu tragen, habe man eigens dafür eine Funktionsstelle für ein Schulleitungsmitglied geschaffen. Im Übrigen greife man seitens des Ministeriums nicht in die eigenständige Arbeit der Schulen ein: „Die sind uns heilig – es kommt letzten Endes immer nur auf das Lehrerteam an, wir können nichts verordnen!“ Sabine Weidner, Referentin im hessischen Kultusministerium, bestätigte den Kurs, den die Paderborner Wissenschaftler vorgegeben hätten: „In Hessen steht die individuelle Förderung an Berufskollegs im Vordergrund.“ Lernprozessbegleiter führten die Jugendlichen an gestuften Berufsschulen konsequent in die duale Ausbildung, unter reger Beteiligung der heimischen Wirtschaft. Die Erreichung eines Hauptschulabschlusse sei mithin eines der wichtigsten Ziele der Bildungspolitik.
Auch Herbert Hecker vom Ministerium für Schule und Weiterbildung NRW favorisierte dieses Ziel und nannte folgende Hauptaufgaben:
- Weitgehend homogener Bildungsgang in der Ausbildungsvorbereitung
- Durch Dualisierung stärkere Profilierung des Bildungsgangs in Berufskollegs
- Steigerung von Motivation und Beteiligungsverhalten
- Individuelle Förderung statt zielgruppenorientierter Förderung.
Detlef Zech, Referent im Ministerium für Schule und Weiterbildung, betonte die Möglichkeiten, die InBig eröffnet hätte, um die Umsetzung der Ausbildungsvorbereitung von der Schule aus zu denken. InBig habe zu der Erkenntnis geführt, dass man nicht die Lehrpläne neu gestalten, sondern dass man neue Ziele definieren und erreichen müsse. Und dabei stehe die Förderung der Basiskompetenzen im Vordergrund. Der daran anschließende Vortrag von JProf. Dr. Nicole Kimmelmann, die seit Oktober 2014den vakanten Lehrstuhl von Prof. Dr. Esther Winther vertritt, gab verblüffende Einsichten in die „Berufsbildungssprache“, die an allerlei Defiziten kranke und die Bildungssituation von Jugendlichen ohne Arbeit kaum berücksichtige und somit für viele Schüler unverständlich sei (www.kommpetenz.org) In den fünf folgenden Kurzworkshops trafen sich die betreuenden Wissenschaftler der Uni Paderborn mit den Projektausführenden zu intensiven Diskussionen. Spätestens hier zeigte sich, wie tief InBig in das Feld der berufsvorbereitenden Bildungsgangarbeit eingreift und in der Lage ist, altvordere Bildungsvorstellungen, die teils heute noch bestehen, auf den Prüfstand zu stellen. Das sah auch Gerd Hendrix vom Berufskolleg EST Geilenkirchen so: „Die Wirtschaftspädagogen der Universität haben rundum einen sehr guten Job gemacht, viele Schwachstellen erkannt, aufgedeckt und gangbare Wege zur Verbesserung der allgemeinen Bildungssituation in den Berufsschulen aufgezeigt.“
Auf diesen Zug sprach auch Prof. Kremer auf, als er in seinen Abschiedsworten darauf hinwies, dass man zwar am Ende eines Projekts stehe, gleichzeitig aber auch wieder am Anfang eines weiteren. Denn was jetzt als Defizit erkannt wurde, müsse in Lösungen überführt werden. Dazu entwickelte er „das Modell einer kontrollierten Gestaltungsphase in Bildungsgängen der Ausbildungsvorbereitung“ mit folgenden Schwerpunkten:
- Betreutes Selbstlernen als Standard einführen
- Strukturierte flächendeckende Implementierung
- Zusammenführung von jeweils 3-4 Berufskollegsstandorten zu Clustern
- Vor-Ort-Gestaltung und regionale Verankerung
Als „wünschenswert“ bezeichnete es Kremer, die „Kollegiale Weiterbildung“ der Lehrkräfte in den Berufskollegs in ein Schulprojekt mit multiprofessioneller Teamarbeit zu überführen. Weitere Schwerpunkte seien Schulentwicklungs- und Personalentwicklungsprogramme und die Entwicklung von Bildungsgängen in den Berufskollegs – wobei der jeweiligen Situation in den verschiedenen Berufskollegs Rechnung zu tragen sei. Dabei schlug er unter dem Beifall der anwesenden Kultusbeamten vor, in einer künftigen „Innovationsarena 3i“ die professionelle Bildungsgangentwicklung in den Berufskollegs fest zu verankern. Die drei „i“ stehen dabei für individuell fördern – inklusive Bildungsarbeit stärken – soziale integration eröffnen. Im Abschlussstatement dankte Herbert Hecker den beteiligten Akteuren aus den verschiedenen Institutionen für den hohen Einsatz und rief dazu auf, „jetzt die Ergebnisse auch den anderen Schulen zugänglich zu machen“.