Der Ver­gleich mit Ver­stor­be­nen zeigt, wie wich­tig per­sön­li­che In­ter­ak­ti­on für den lo­ka­len Wis­sen­s­trans­fer ist

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Dr. Sonja Lück erhält Auszeichnung für ihre Methode zur Messung der regionalen Verbreitung von Wissen

Immer wieder lässt Dr. Emily Chen den Kugelschreiber ihrer Heimatuniversität Stanford durch ihre Finger gleiten. Sie ist nervös. In wenigen Minuten soll sie einem Start-up für Medizintechnologie im Silicon Valley ihre Erfindung vorstellen: ein Neurochip, der in der Lage ist, Gehirnströme in Echtzeit zu analysieren und zu interpretieren. Der Chip hat das Potenzial, die medizinische Diagnostik zu revolutionieren. Eigentlich würde sie hier gemeinsam mit ihrem Kollegen Dr. David Nguyen aus Berkeley stehen. Sie hatten zusammen an einem Forschungsprojekt gearbeitet und die Ergebnisse vor zwei Jahren als Patent angemeldet. Doch die Bewilligung sollte David nicht mehr erleben. Er starb kurz zuvor bei einem Autounfall.

Emily und David gibt es in Wahrheit nicht, aber ihre Geschichte wiederholt sich immer wieder. Die Geschichte von Erfinder*innen, die gemeinsam ein Patent anmelden, aber das Wissen nicht gemeinsam in die Welt tragen können, weil eine*r der Erfinder*innen verstirbt. Dr. Sonja Lück von der Universität Paderborn hat sich gemeinsam mit zwei Kollegen von der Universität Luxemburg und der University of California genau 1.621 dieser Geschichten angeschaut. Denn die tragischen Geschichten zeigen, wie sich Wissen in einer Region verbreitet und wie wichtig dafür, die Menschen hinter den Ideen sind. Die 1.621 Erfinder*innen-Paare hatten noch eine weitere Gemeinsamkeit: sie kamen nicht aus derselben Stadt. Dadurch konnten die Forschenden die Ausbreitung des patentierten Wissens in den Regionen der noch lebenden und der verstorbenen Erfinder*innen vergleichen. Wie häufig ein Patent für andere Erfindungen und Patente als Grundlage genommen wird, lässt auf den Einfluss und die Bedeutung einer Erfindung schließen. Die Anzahl der Zitationen dient dabei als Maß für den Wissenstransfer.

Lokaler Wissenstransfer als Treiber regionalen Wirtschaftswachstums

„Einer der einflussreichsten Ökonomen seiner Zeit, Alfred Marshall, ging schon Ende des 19. Jahrhunderts davon aus, dass lokaler Wissenstransfer neben dichten Arbeitsmärkten und Zusammenschlüssen von Produktionsstätten einer der wichtigsten Gründe für die regionale Konzentration wirtschaftlicher Aktivitäten ist. Mit unserem ungewöhnlichen Forschungsansatz ist es uns erstmals gelungen, den Einfluss der physischen Anwesenheit der Erfinder*innen auf die Wissensverbreitung nachzuweisen. Wir liefern damit einen wichtigen Beitrag zur Debatte über regionale Ungleichheit und der Förderung von Innovationsclustern.“ beschreibt Lück den Einfluss ihrer Forschung.

Schauen wir uns noch einmal das Beispiel von Emily und David an. Wäre David nicht gestorben, hätte er vermutlich seine Erfindung Unternehmen, Forschenden und Journalist*innen in der Region um Berkeley und San Francisco vorgestellt oder hätte vielleicht einen Job in einem regionalen Unternehmen angenommen. Gemeinsam hätten sie das Patent weiterentwickeln und auf andere Branchen und Bereiche übertragen können. Durch seinen Tod jedoch kommt der Wissenstransfer in seiner Region fast zum Erliegen. Stattdessen präsentiert Emily ihre Ideen fast ausschließlich im Silicon Valley, also in ihrem lokalen Netzwerk. Die Folge? Das Patent von David und Emily wird in der Heimatregion von David wesentlich seltener zitiert als in der Heimatregion von Emily. Im Schnitt um ein Viertel seltener, wobei der Unterschied bei großer Entfernung der Heimatstädte auch bis zu 70 Prozent betragen kann. Die Daten von Lück und ihren Kollegen unterstreichen, dass Wissen hauptsächlich lokal übertragen wird. Jedes fünfte Zitat eines Patents erfolgt in einem Umkreis von 32 km der Erfinder*innen. „Obwohl es sich bei Patenten um öffentlich zugängliche Dokumente handelt, die über Datenbanken leicht einsehbar sind, betonen unsere Ergebnisse den Einfluss der persönlichen Interaktion auf die Verbreitung von Innovationen. Insbesondere in den ersten fünf Jahren nach der Patenterteilung verbreitet sich Wissen schneller, wenn Erfinder*innen ihre Ideen in der Region aktiv kommunizieren.“

Persönliche Interaktion fördert Wissenstransfer

Hochschulen spielen eine wichtige Rolle bei der Förderung von Innovationen in einer Region. Sie schaffen Wissen, sind aber auch dem Wissenstransfer verpflichtet. Die Ergebnisse von Lück und ihren Kollegen unterstreichen, dass Erfinder*innen im Anschluss an die Wissensgenerierung Zeit, Raum und Möglichkeiten zum Austausch und zur Kooperation eingeräumt werden sollte, um ihre Ideen zu verbreiten: „Auch weniger dramatische Umstände wie der Tod können den lokalen Wissenstransfer behindern. Etwa der Umzug von Erfinder*innen oder der Rückzug ins Homeoffice können dafür sorgen, dass eine Region nicht gleichermaßen von neuen Erfindungen profitiert. Mit unserem Ansatz wären wir in der Lage auch hier die Effekte auf die lokale Wissensverbreitung zu analysieren.“, beschreibt Lück die weiteren Forschungspotentiale für ihren Ansatz.

Mit Statistik die Verbreitung von Innovationen nachvollziehen

Die Daten für ihre Forschung umfassen den Zeitraum von 1976 bis 2005. Also eine Zeit, in der zu weiten Teilen eine unkomplizierte Wissenssuche über das Internet noch nicht möglich war. Würden die Ergebnisse heute anders aussehen? Oder gäbe es immer noch den starken lokalen Fokus in der Wissensverbreitung? „Aufgrund der uns zugänglichen Daten, waren wir leider nur in der Lage, verstorbene Inventor*innen auf Patentanträgen bis 2005 zu identifizieren. Die in unserem Artikel untersuchten Zitationen dieser Patente reichen allerdings bis ins Jahr 2020. Daher gehe ich davon aus, dass die physische Anwesenheit trotz moderner Technologien immer noch eine zentrale Rolle für die lokale Wissensverbreitung darstellt.“

Als Statistikerin war Lück insbesondere für die Datensuche, -aufbereitung und -auswertung der Studie verantwortlich. Ihre Forschung liefert nicht nur wichtige Erkenntnisse über die Verbreitung von Innovationen, sondern bietet auch eine quantitative Methode für ähnliche Fragestellungen. Der Beitrag „Isolating personal knowledge spillovers: co-inventor deaths and spatial citation differentials“ ist 2023 in der American Economic Review: Insights, einer der renommiertesten Fachzeitschriften für Volkswirtschaftslehre, erschienen. Für ihre herausragende Forschungsleistung erhält Dr. Sonja Lück zum zweiten Mal den Dean’s Young Scholar Research Award der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Paderborn.

Artikel

Balsmeier, B.; Fleming, L.; Lück, S. (2023): Isolating Personal Knowledge Spillovers: Co-inventor Deaths and Spatial Citation Differentials. American Economic Review: Insights. Volume 5, Issue 1, pp. 21-34. Link

über Dr. Sonja Lück:

Seit ihrer Promotion in 2008 ist Dr. Sonja Lück als Studienrätin an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften im Bereich Statistik tätig. Ihre Kurse reichen vom ersten Semester bis ins Promotionsstudium und umfassen ein breites Spektrum statistischer Verfahren und Anwendungsgebiete. Ihr momentaner Forschungsschwerpunkt liegt auf den Triebkräften, Vorläufern und ökonomischen Folgen von Innovationen und wissenschaftlicher Forschung. Dabei interessiert Sie Sich insbesondere für Forschungsdesigns, die es erlauben kausale Einflüsse abzuschätzen.

Foto (Universität Paderborn): Dr. Sonja Lück erhält Dean's Young Scholar Research Award der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften für ihre Methode zur Messung der regionalen Verbreitung von Wissen.

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Dr. Sonja Lück

Statistik und Quantitative Methoden der Empirischen Wirtschaftsforschung

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