Konzentriert blickt Claudia Schmidt auf den Bildschirm ihres Computers im Berufsbildungswerk Leipzig. In der rechten oberen Ecke des Monitors sieht man einen Mann mit Brille, der heftig, aber lautlos gestikuliert. Kaum jemand käme auf die Idee, dass er in Gebärdensprache über Bruchrechnung redet. Claudia aber, die gehörlos ist, versteht die Deutsche Gebärdensprache (DGS) viel besser als einen geschriebenen Text. "Endlich können wir in unserer Muttersprache lernen, wie zum Beispiel Bruchrechnung funktioniert. Für die Berufsvorbereitung ist das super", sagt Claudia begeistert.
Die Internet-Lernsoftware des AILB-Projektes der RWTH Aachen ist eins von über einem Dutzend Exponaten aus den unterschiedlichsten Bereichen auf dem CeBIT-Stand "Forschungsland NRW". Nordrhein-westfälische Universitäten, Fachhochschulen und Unternehmen zeigen hier, welche Leistungen möglich sind, wenn Wissenschaft und Praxis kooperieren. Von Mobilfunk bis zu Automatisierungstechnik, von Arbeitszeiterfassung auf Baustellen bis zu rekonfigurierbaren Computersystemen reicht das Forschungsspektrum der zwölf Aussteller. Vielfalt und Praxisnähe sind Trumpf, denn immerhin ist Nordrhein-Westfalen das Bundesland mit der dichtesten Hochschul- und Forschungslandschaft. "Die Exponate zeigen eindrucksvoll, was wir in Nordrhein-Westfalen unter praxisnaher Forschung verstehen", sagt die nordrhein-westfalische Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft.
Unternehmen profitieren von der Nähe zur Wissenschaft
Gleich zwei Aussteller haben sich mit Mobilfunk befasst. Die Aachener Firma Qosmotec bietet vollständige Testlösungen für neue Netzsoftware an, die Tests sowohl 'in der Entwicklungsphase als auch vor und während der Inbetriebnahme ermöglichen. Die Ausbreitung von Funkwellen in bestimmten Gebieten simuliert ein Programm der RWTH Aachen mit einem speziell entwickelten Algorithmus. Damit können Netzbetreiber die optimalen Standpunkte für Sendemasten und die bestmögliche Konfiguration des Funknetzes bestimmen. Den Alltag in der Baubranche erleichtert das Programm "Tagewerk", ein Kooperationsprojekt derFachhochschule (FH) Gelsenkirchen und der Hochschulausgründung Beckmann und Türk GbR. "Tagewerk" ersetzt die von Mitarbeitern und Buchhaltung gleichermaßen ungeliebten Stundenzettel durch einen PDA für jeden Arbeiter, der mit einem Server verbunden ist. Arbeitszeiten können bequem digital erfasst und ausgewertet, Verzögerungen im Baufortschritt schneller erkannt werden. Handwerksbetriebe können damit die Arbeitszeiterfassung effizienter gestalten und den Erfolg ihrer Baumaßnahmen genauer messen und optimieren.
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) machen fast 98 Prozent aller Unternehmen aus. Gerade sie sind auf Unterstützung von außen angewiesen, nehmen externe Beratungsleistungen jedoch eher selten in Anspruch. Ein simulationsgestütztes Erklärungsmodell der Unternehmensberatung in KMU der Universität Paderborn und der Ausgründung myconsult GmbH gibt konkrete Hinweise für die optimale Ausgestaltung der Beratungssituation und steigert dadurch die Effizienz der Beratung. Auch von anderer Seite erhalten die Unternehmen Unterstützung. Das Gemeinschaftsprojekt "Unternehmensservice Essen online" (USE24) der Universität Duisburg-Essen, der Stadt Essen und einer Unternehmensberatung erleichtert den Unternehmeralltag durch den Abbau bürokratischer Hürden. Über ein Internetportal stellt die Stadtverwaltung Dienstleistungen rund um die Uhr zur Verfügung. Das System ist so angelegt, dass die einzelnen Ämter nach und nach ihren gesamten Service online anbieten können. Der Einstieg ins E-Government spart sowohl der Stadt Essen als auch der Essener Wirtschaft Zeit und Kosten.
Zeit- und Kostenersparnis in der Automatisierungstechnik
Zeit- und Kostenersparnis sind auch im Bereich der Automatisierungstechnik ein wichtiges Thema. Deutliche Fortschritte bringt hier eine Entwicklung der FH Lippe und Höxter, die in die Automatisierungskomponenten Massenfunktechnologie integriert. Das ermöglicht den Zugriff mit kommerziellen Geräten wie Laptops, Handys oder PDAs auf die Automatisierungselemente. Der Techniker vor Ort kann die Elemente parametrieren, ohne einen Schaltschrank öffnen zu müssen.
Mit "Secondo" stellt die Fernuniversität Hagen ein neues, leicht erweiterbares Datenbanksystem vor. Der auf der CeBIT vorgeführte Prototyp verwendet unter anderem Erweiterungen für Geodaten und für die Darstellung beweglicher Objekte.
Der Quellcode des Systems ist frei zugänglich und in den zentralen Teilen ausführlich dokumentiert. "Secondo" ist damit für Unternehmen interessant, um spezielle Arten von Daten zu verwalten, die von Standardsystemen nicht unterstützt werden. Wie man Ressourcen und Kompetenzen sinnvoll interdisziplinär und international verknüpft, demonstriert die Universität Münster mit dem "European Research Center for Information Systems" (ERCIS). Als erste deutsche Forschungsinstitution verknüpft ERCIS Kernkompetenzen der Wirtschaftsinformatik mit Fragestellungen der Informatik, der Betriebswirtschaft und Spezialaspekten des Rechts. Ziel ist es, Problemstellungen aus einer ganzheitlichen Perspektive anzugehen. Auf der CeBIT werden verschiedene Forschungsprojekte aus dem Bereich Informationsmanagement und Controlling vorgestellt.
Heutige Computer arbeiten in der Regel mit einem hoch getakteten Prozessor. Rekonfigurierbare Systeme hingegen setzen auf eine hohe Zahl einfacher, paralleler Verarbeitungseinheiten. Das am Fachgebiet Schaltungstechnik der Universität Paderbornentwickelte "RAPTOR2000"-System macht herkömmliche PCs zu dynamisch rekonfigurierbaren Computersystemen. Ihre Hardwarestruktur kann je nach Bedarf angepasst werden, was dem Benutzer größere Flexibilität bietet. Er kann so sein System beispielsweise für Rechenoperationen oder für Grafikoperationen optimieren.
Mehr Sicherheit beim Homebanking bietet ein von der FH Südwestfalen entwickeltes Programm. Im Gegensatz zu anderen Homebanking-Programmen arbeitet es nicht unter Windows, sondern unter dem wesentlich sichereren Linux. Das Programm verschlüsselt die Daten nach dem neuesten Standard. Zusätzlich werden die verschlüsselten Daten ausschließlich auf Datenträgern gespeichert, die man anschließend aus dem PC nehmen und sicher lagern kann.
Was aber wären Hochschulen und Unternehmen ohne den Nachwuchs? Experten der FH Gelsenkirchen helfen Schulen bei der Verwaltung ihrer IT-Systeme. Über eine speziell eingerichtete Datenbank werden Störungsmeldungen von Lehrern umgehend per Internet an ein Support-Zentrum der FH weitergeleitet, das die Störungen der Schulcomputer vor Ort behebt. Zudem hat die FH ein System entwickelt, das den Lehrern die Verwaltung von Internetdiensten für ihre Schüler ermöglicht.
Zeit- und Kostenersparnis in der Automatisierungstechnik
Für die nordrhein-westfälische Wissenschaftsministerin Hannelore Kraft sind die Exponate des Standes "Forschungsland NRW" ein aussagekräftiger Querschnitt durch die außerordentlich breite Palette von Instituten und Hochschulen in NRW, die alles von der Grundlagenforschung über forschungsbasierte Dienstleistungen bis hin zur angewandten Forschung abdecken. "Das ist nicht nur ein Standortvorteil für unsere Unternehmer, sondern auch für junge Menschen, die aus einer Vielzahl von Studienangeboten wählen können", sagt die Ministerin. Sie sieht in den Exponaten die sichtbare Bestätigung dafür, dass das Land mit dem "Hochschulkonzept 2010" auf dem richtigen Weg ist. Das vor einem Jahr verabschiedete Konzept soll die Universitäten und Fachhochschulen in NRW modernisieren und für den internationalen Wettbewerb stärken. Wesentlicher Bestandteil sind Zielvereinbarungen mit jeder Hochschule. Sie legen unter anderem Profilbereiche fest, in denen die Hochschulen ihre besonderen wissenschaftlichen Stärken entwickeln und ausbauen sollen. Weg von der Hochschulsteuerung, hin zur Hochschulkoordinierung, so lautet das Rezept von Hannelore Kraft. "Neben zunehmender Finanzfreiheit gehen wir seit Anfang dieses Jahres auch mit der Novelle des NRW-Hochschulgesetzes den Weg zu mehr Autonomie bei Personal und Organisation der Hochschulen." Das große Plus der Fachhochschulen in NRW sind die anwendungsorientierte Forschung und die enge Verzahnung mit der Wirtschaft vor Ort. Diesem Beispiel folgen zunehmend auch die Universitäten des Landes. Die Hochschulen sind für regionale Unternehmen wichtige Kooperationspartner. So zahlt sich für die Fachhochschulen jetzt schon die Arbeit an der Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft aus: Mehr als 30 Prozent der von ihnen eingeworbenen Drittmittel stammen von Wirtschaftsunternehmen. Traditioneller Spitzenreiter ist die RWTH Aachen mit über 40 Prozent.
Dateien: <link file:55381>vm_impulse_cebit_2005.pdf
Quelle: VRimpulse