Doktoranden der Universitäten Paderborn und Bielefeld diskutieren mit dem Dalai Lama
Münster. „Vielleicht kann man ja nicht alles im Universum verstehen“, sagt der Dalai Lama und lacht. Von innen, vom Herzen kommt dieses Lachen, das so ansteckend und rein ist wie das eines Kindes. Wo immer er auftaucht, strahlt seine Seele mit seiner orange-roten tibetischen Mönchstracht um die Wette. Er ist gütig, liebenswürdig und weise. Das macht den Friedensnobelpreisträger zu einer Autorität für Menschen, die nach Wahrheit suchen – Wissenschaftler zum Beispiel.
Der Dalai Lama ist seit vielen Jahren am Dialog von Religion und Wissenschaft, insbesondere mit den Naturwissenschaften, beteiligt. Er erwartet von beiden Seiten eine Offenheit außerhalb des eigenen Erkenntnishorizontes und vor allem ein ethisches Bewusstsein beim eigenen Handeln. 30 Doktoranden der Graduate Schools aus ganz Nordrhein-Westfalen hatten jetzt die einmalige Gelegenheit, den spirituellen Superstar ungestört mit ihren Fragen zu löchern. Sieben von ihnen promovieren an den Universitäten Paderborn oder Bielefeld, fast alle an technischen Fakultäten. Für die Zeit einer Vorlesung durften sie dem Dalai Lama so nahe sein wie sonst kaum jemand. Das Meeting wurde live in die Schlossaula übertragen, wo die restlichen 300 Doktoranden saßen, die nicht das Glück hatten, unter den Auserwählten zu sein.
„Ich bin glücklich, junge Menschen zu treffen. Ihr seid offen und noch nicht so verdorben“, begrüßte „Dr. Lama“, der tags zuvor den Ehrendoktortitel in Naturwissenschaften der Universität verliehen bekommen hatte, die überschaubare Gruppe im Münsteraner Schloss. „Wir leben am Anfang des 21. Jahrhunderts, das euch gehört, nicht mir. Alte Menschen wie ich sind fixiert in ihrem Geist. Von euch erwarte ich Vorschläge und neue Ideen. Das ist alles.“
Dass die Sache mit den Erwartungen nicht so einfach ist, weiß der Buddhist. „Erwarten Sie von mir die Instant-Erleuchtung?“, hat der Dalai Lama einmal in einem Interview gefragt. Davon sind die Nachwuchswissenschaftler zwar weit entfernt, als sie im Konferenzraum auf die große Zusammenkunft warten, aber aufgeregt sind sie schon. Und neugierig auf die Antworten, die der 72-Jährige auf ihre Fragen geben wird. Das Spannungsfeld ist klar: hier Seine Heiligkeit, dort die Doktoranden der Ingenieur- und Naturwissenschaften, Life Sciences und Wirtschaftswissenschaften. Glaube trifft Wissen – zwei Welten in einem Raum.
Die Fragen der Studierenden entstammen der aktuellen Diskussion über Ethik in den Wissenschaften. Embryonale Stammzellenforschung – darf man das oder darf man es nicht? Was ist mit Tierversuchen? Was ist, wenn Forschung der Problemlösung dienen soll und selbst zum Problem wird? Oder: Haben die reichen Industrienationen eine besondere moralische Verantwortung? Bei jeder Frage hört der Dalai Lama aufmerksam zu, manchmal runzelt er die Stirn, weil er etwas nicht verstanden hat. Dann verschränkt er die Arme über der Brust, lehnt sich zurück und beginnt zu reden. Wie alle klugen Männer gibt er selten eine klare Antwort, dafür ist die Welt viel zu kompliziert. Trotzdem sind seine Erwiderungen von überwältigender Einfachheit. Denn für den Dalai Lama entstehen die Probleme nicht in den Wissenschaften, sondern in der Welt, die wir erschaffen. Eine Welt der Gegensätze, in der wir uns selbst im Weg stehen und verlernen, die richtigen Fragen zu stellen. Er erzählt von seinen Reisen nach Afrika und von Indien, von der Armut. „Die Menschen leiden und beneiden die reichen Leute. Sie sind wütend und Wut bringt Gewalt.“
Konkreter wird es, als es um Tierversuche geht. Die Position ist eindeutig: „Jedes Leben ist gleich viel wert und muss mit Respekt behandelt werden. Das eines Professors ebenso wie das eines Insekts.“ Nur bei Moskitos drückt der Dalai Lama lächelnd ein Auge zu – „mit denen habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Vielleicht leiden sie weniger, wenn man sie tötet.“ Ob Stammzellenforschung, Versuche mit Ratten oder Hirnforschung – der Dalai Lama gibt den Nachwuchswissenschaftlern eine Botschaft mit auf den Weg: „Man muss abwägen und von Fall zu Fall entscheiden.“
Thomas Sillekens von der Universität Paderborn, der ebenso wie sein Studienkollege Cheng Yee Low die Gelegenheit hatte, eine Frage loszuwerden, ist später schwer beeindruckt. „Ich habe ihn zum Konflikt zwischen dem Streben nach Wissen und Religion befragt. Er hat gesagt, dass man beides braucht, dass die Analyse auch ein Baustein des Glaubens ist.“ Und war die Antwort befriedigend? „Na ja, er ist halt auf der religiösen Seite und geht auf die Wissenschaften zu. In der Religion gibt es kein klares Ja oder Nein“, sagt Joel Greemeyer, der an der Paderborner Fakultät für Informatik promoviert. „Er ist weise“, sagt Sillekens noch. Nachdenklich seien sie alle geworden. Dann steigt die Gruppe in den Bus, der sie in die Halle Münsterland zu den anderen 5.000 Zuhörern bringt, die dem Vortrag des Dalai Lama über die „Universelle Verantwortung in Wissenschaft und Gesellschaft“ entgegenfiebern.
Zwei Tage lang war der Dalai Lama zu Besuch in Westfalen. Nachdem das geistliche Oberhaupt der Tibeter am Donnerstag die Ehrendoktorwürde der Universität Münster verliehen bekommen hatte, widmete er sich am Freitag dem wissenschaftlichen Nachwuchs. Unter den ausgewählten Doktoranden, die fast zwei Stunden lang mit ihm diskutieren durften, waren auch sieben aus OWL.
Dateien: <link file:54761 file>nw_2007_09_22.pdf
Quelle: Neue Westfälische