"Ich bin aus beruflichen Gründen nach Deutschland gekommen und aus privaten geblieben", erzählt Leena Suhl. Für eine Wissenschaftlerin ist es nicht ungewöhnlich, im Ausland zu arbeiten. Und dass sie dort den Mann für's Leben findet, wohl auch nicht. Nach ihrem Ingenieur-Studium in Finnland war die Wirtschaftsinformatikerin zunächst in den USA an einem Forschungsauftrag beteiligt. Dann kehrte sie an die Technische Universität Helsinki zurück, um dort ihre Promotion zu schreiben. 1987 wechselte sie nach Berlin, 1994 nach Paderborn. Mit ihrem Mann, dem Wirtschaftsinformatiker Uwe Suhl, der an der Freien Universität in der Hauptstadt lehrt, teilt die 50-Jährige nicht nur ihr Privatleben, sondern auch immer wieder Forschungsprojekte.
Leena Suhl kam nach Deutschland, als Finnland noch nicht zur Europäischen Union gehörte. Sie erinnert sich noch gut daran, wie kompliziert der Weg durch die Instanzen war, bis ihre akademischen Abschlüsse und Arbeitsjahre endlich Anerkennung gefunden hatten. "Seit dem EU-Beitritt Finnlands 1995 ist das alles viel einfacher", versichert die Professorin. Das betrifft auch ihre beiden Kinder aus erster Ehe, die heute 21 und 23 Jahre alt sind. Sie sind in Finnland geboren, in Deutschland aufgewachsen und zum Studium nach Finnland zurückgekehrt. Bürokratische Hindernisse habe es bei ihnen nicht mehr gegeben.
Die Zeit, in der Leena Suhl neben ihrer Berufstätigkeit eine Familie zu versorgen hatte, hat ihr reichlich Gelegenheit gegeben, die Lebenssituation von Eltern und Kindern in zwei europäischen Ländern miteinander zu vergleichen. In Deutschland, sagt die Hochschullehrerin, gefällt ihr der Zusammenhalt in den Familien - häufig über mehrere Generationen hinweg. In Finnland sei das anders, da kümmere sich der Staat um Kleinkinder, Kranke und Alte. Gleichzeitig erziehe er aber auch junge Leute zur Selbstständigkeit, überlegt Leena Suhl, Studenten zum Beispiel müssten für ihren Lebensunterhalt selbst sorgen.
Als junge Mutter habe sie es allerdings in Finnland leichter gehabt, erinnert sie sich. "Es war selbstverständlich, dass ich meiner Berufstätigkeit nachging". Der Staat unterstütze Familien mit Kleinkindern finanziell gut, und Männer beteiligten sich in stärkerem Maße an Hausarbeit und Kindererziehung. Und so pendelte die damalige Systemanalytikerin zwischen der häuslichen Wickelkommode und ihrem Schreibtisch bei der finnischen Telefongesellschaft relativ unbelastet hin und her. "Da muss sich in Deutschland noch was ändern", meint Leena Suhl, "vor allem in den Köpfen".
"Zu sehen, wie es woanders läuft", das ist für die Frau, die in zwei Ländern zu Hause ist, eine große Chance, die die erweiterte EU den Menschen biete. Vier bis fünf Mal im Jahr reist sie nach Finnland, besucht Freunde und Verwandte und verbringt Ferientage in ihrem Sommerhaus an einem See.
Die Entfernung ist für sie kein Hindernis: "In zwei Stunden bin ich von Berlin aus mit dem Flieger in Helsinki". Außerdem gebe es Zeitungen, Telefon und das Internet: "Es ist wirklich einfach, Kontakt zu halten", meint Leena Suhl. Als Wissenschaftlerin ist sie außerdem viel beruflich unterwegs, europäische Projekte sind ihre Spezialität, was ihre Studenten durchaus zu schätzen wissen.
Dateien: <link file:58971>wb_2004_05_06.jpg
Quelle: Westfalen-Blatt