Bologna in Paderborn - Wie eine Studienreform eine Fakultät verändert

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Seit dem Wintersemester 2005/2006 ist das Studienangebot an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften komplett modularisiert und auf Bachelor/Master umgestellt; die bisherigen Studiengänge laufen aus.

Studiendekanin Prof. Dr. Leena Suhl hat die Verwirklichung des Bologna-Prozesses an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften maßgeblich vorangetrieben.

PUZ: Welche Ziele verfolgt die durchgeführte Studienreform?
Prof. Dr. Leena Suhl: Da gibt es zunächst einmal die abgeleiteten Ziele aus der "Bologna-Richtlinie", deren Umsetzung bis 2010 europaweit angestrebt wird. Dazu zahlen die Etablierung konsekutiver Studiengänge mit Berücksichtigung von Berufsorientierungen, die Orientierung am Workload-Prinzip, nämlich dass im Regelfall Studierende stundenmäßig pro Jahr genauso viel leisten müssen wie andere Berufstätige auch - d. h. insgesamt ca. 1800 Arbeitsstunden pro Studienjahr - sowie die Modularisierung von Studiengängen. Bei der Modularisierung werden thematisch zusammenhängende Lehr-und Lerneinheiten zu einem Päckchen (Modul) geschnürt, welches in der Regel im gleichen Semester gelehrt und abgeprüft wird. Damit entfallen die bisherigen, oft kontextunabhängigen Einzelveranstaltungen, die vormals meistens einzeln abgeprüft wurden. Ganz konkret haben wir in der Umsetzung des Bologna-Prozesses für unsere Fakultät die Chance gesehen, die gesamte Palette unserer Lehr- und Prüfungsangebote zu durchforsten und zu optimieren - deshalb haben wir auch so früh damit begonnen.
PUZ: Bachelor/Master - was wird eigentlich darunter verstanden?
Prof. Dr. Leena Suhl: In den grundständigen Studiengängen kann nun in zwei Stufen studiert werden: Hierzu schreiben sich die Studierenden als erstes in einen Basisstudiengang, den Bachelor, ein. Meistens, so auch an unserer Fakultät, hat dieser einen Umfang von sechs Semestern. Darauf aufbauend kann in einem Master-Studicngang das Wissen vertieft oder spezialisiert werden. An unserer Fakultät haben die Master-Studiengänge einen Umfang von vier Semestern. Konkret bieten wir drei Bachelor-Studiengänge ("Wirtschaftswissenschaften", "Wirtschaftsinformatik" und "International Business Studies") und fünf Master-Studiengänge ("Business Administration", "International Business Studies", "International Economics", "Wirtschaftsinformatik" und "Wirtschaftspädagogik") an.
PUZ: Was waren die größten Herausforderungen bei dieser Komplettumstellung?
Prof. Dr. Leena Suhl: Zunächst galt es, die konzeptionelle Herausforderung zu meistern, um attraktive und konkurrenzfähige Studienangebote zu entwickeln. Hierzu hat schon mindestens eineinhalb Jahre vor der Komplettumstellung ein intensiver Diskussionsprozess in der Fakultät begonnen, in dem schrittweise erörtert wurde, wie die neuen Studiengänge aussehen sollen. So mussten zum Beispiel die Fragen geklärt werden, welche Inhalte vermittelt werden sollten, welchen Umfang die Module haben sollten, wie viele Bachelor- und wie viele Master-Studiengänge angeboten werden sollten, wie die einzelnen Abschlüsse heißen sollten (Bachelor/Master "of Arts" bzw. "of Science"), ob ein breites und/oder ein spezialisiertes Angebot entwickelt werden sollte etc. 
Die größte Herausforderung war die Überleitung der bereits eingeschriebenen (Diplom)Studierenden in das neue Modul-System. Diese ca. 3500 Studierenden hatten als Basis ihres Studiums in der Regel kontextunabhängige Einzelveranstaltungen studiert und mussten nun in das neue System mit kontextabhängigen Lehr-/Lernpaketen (Modulen) überführt werden. Diese Aufgabe war mit einer enormen Komplexität verbunden. Zusammen mit einem engagierten Beratungsteam, das zeitweise aus bis zu elf Personen bestand, konnten diese Probleme gemeistert werden. Dabei setzte die Fakultät von Anfang an auf Transparenz und ausführliche Information für alle Beteiligten. Durch den stetigen Austausch in regelmäßigen Informations- und Diskussionsrunden konnten viele wichtige Ideen und Hinweise auf mögliche Probleme in den Reformprozess zeitnah eingebracht werden. Der Reformprozess war zwar für alle Fakultätsmitglieder eine außerordentliche Belastung, aber es war immer genug Motivation da, um konsequent in diesem Prozess weiter voranzuschreiten.

Am Dekanat der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften werden die mit der Studienreform anfallenden Arbeiten zum größten Teil durch das Beratungsteam im Studienbüro gemeistert. V. l.: Dr. Tobias Volpert, Ansgar Hinerasky und Filiz Sen.

PUZ: Was hat sich hierdurch in der Fakultät geändert?
Prof. Dr. Leena Suhl: Durch die Neuentwicklung und Komplettumstellung des Studienangebotes ist quasi eine Kettenreaktion abgelaufen: Das Lehren, das Studieren sowie die Organisation und ihre Prozesse haben sich dabei an der Fakultät ebenfalls geändert. Dies ist ein kontinuierlicher Prozess und er muss zum Wohle der Fakultät gelenkt werden.
PUZ: Können Sie für diese Veränderungen Beispiele nennen?
Prof. Dr. Leena Suhl: Organisatorisch gibt es neue Abstimmungs- und damit auch neue Verantwortungsbereiche: Studienbüro/Beratungsteam, Studiengangverantwortliche, Modulverantwortliche, Departments etc. Die Rahmenbedingungen für das Studium haben sich z. B. im allerersten Studienabschnitt (Assessmentphase) dahingehend geändert, dass die eingeschriebenen Studierenden jetzt automatisch für alle Prüfungen in dieser Phase angemeldet sind. Die in der Regel zweisemestrige Assessmentphase - und das ist ein Novurn in der neuen Bachelor-Landschaft — ist auf maximal vier Semester begrenzt. Wir haben jetzt stärker berufsorientierte Inhalte in den Bachelor-Studiengängen und mehr projektorientierte Lehre. Kompetenzerwerb durch selbstgesteuertes Lernen bieten z. B. so genannte „Case Studies" (Fallstudien), die in Gruppen von den Studierenden bearbeitet werden, auch werden vermehrt E-Learning-Angebote als Unterstützung bereitgestellt. Ein besonderes Novum stell: das an anderen Fakultäten und Hochschulen bisher eher selten zu findende Mentoring dar. Dabei werden alle Studierenden im ersten und zweiten Semestet in Gruppen von sieben bis zehn Personen (Mentees) eingeteilt. Jede Gruppe wird aus dem wissenschaftlichen Personal von einem Mentor bzw. einer Mentorin während des ersten Jahres (Assessmentphase) begleitet. Dabei erhalten die Mentees beispielsweise Unterstützung bei organisatorischen Schwierigkeiten, die insbesondere zu Studienbeginn auftreten oder auch methodische Hilfestellungen bei der Frage nach einer erfolgreichen Lernstrategie. Es steht ihnen damit ein verlässlicher Ansprechpartner bei Problemen zur Seite.
PUZ: Lässt sich schon eine erste Zwischenbilanz ziehen?
Prof. Dr. Leena Suhl: Die ersten Studierenden in den Bachelor-Studiengängen haben bereits ihre Assessmentphase erfolgreich abgeschlossen und befinden sich jetzt in der so genannten Profilierungsphase. Die letzten Erfolgskontrollen bestätigen einen sehr guten Lernerfolg. Trotz der bei der Einführung
von neuen Studiengängen und auch bei der Überleitung in ein neues Studien-System (Modularisierung) kaum zu vermeidenden Friktionen konnten sämtliche Probleme überwunden und zeitnah gelöst werden. Der Anspruch der Fakultät, dass es aufgrund organisatorischer Schwierigkeiten nicht zu einer Verlängerung des Studiums kommen darf, wurde umfassend verwirklicht.
PUZ: Wie geht es weiter?
Prof. Dr. Leena Suhl: Angespornt durch diese positive Bilanz betrachtet die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften die Phase der Einführung der neuen Bachelor- und Master-Studiengänge jedoch noch lange nicht als abgeschlossen. Denn viele Probleme und Schwachstellen werden erst im laufenden Studienbetrieb offensichtlich. In den nächsten Monaten steht daher eine Überprüfung der Studienpläne und einzelner Module an. Auch wenn dies möglicherweise erneut erhebliche Ressourcen und sicherlich viel Überzeugungsarbeit kosten wird, wird die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften notwendige Revisionen zielstrebig in Angriff nehmen.
Das mittelfristige Ziel der Fakultät ist dabei ein stetiges Qualitätsmanagement in Studium und Lehre, das immer wieder zu inhaltlichen und organisatorischen Veränderungen und Anpassungen im Studienbetrieb führen wird. Bei der Sicherung der angestrebten Qualitätsstandards ist eine so genannte "Outcome-zentrierte" Sicht auf die Studiengänge entscheidend, bei der die Absolventen und das gesamte Spektrum ihrer Fähigkeiten im Mittelpunkt stehen. Mit dieser Vorgehensweise wollen wir natürlich auch die erneute Akkreditierung sichern, die im Durchschnitt alle fünf Jahre ansteht. Mit der regelmäßigen Re-Akkreditierung wird offiziell die Qualitätsbeurteilung durch eine unabhängige Akkreditierungsagentur angestrebt und dokumentiert. "Bologna" symbolisiert für mich daher keinen Endpunkt, sondern eher die Route eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses.

Kontakt:
Prof. Dr. Leena Suhl
Studiendekanin
Fakultät für Wirtschaftswissenschaften
Tel.: 05251/60 2108
Fax: 05251/60 3205
E-Mail: StudiendekanWW(at)notes.upb.de
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Quelle: Paderborner Universitätszeitung